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Diakoniewoche eröffnet

Nachricht Vilsen, 05. September 2011
Professorin Annelie Keil
Mit Witz und Tiefsinn begeisterte Professorin Annelie Keil am Samstag zum Auftakt der Diakoniewoche ihre Zuhörer. Foto: Gunnar Schulz-Achelis

Mit dem Aufruf, sich ein „Nebenamt zu schaffen“, hat die bekannte Bremer Professorin Dr. Annelie Keil am Samstag bei einem Vortrag in Vilsen die diesjährigen Diakoniewoche im evangelischen Kirchenkreis Syke-Hoya eröffnet. Die Veranstaltungen stehen unter dem Motto „Da sein, nah sein, Mensch sein: Freiwillig engagiert“.

„Den Menschen und das Leben ehren – Ehrenamt als Spurensuche im eigenen Leben“ war der lebendige Vortrag der Professorin überschrieben. Es könne ein Einsamer oder ein Ungeschickter, ein Kind oder Greis sein, „dem man etwas sein kann“. Das „Nebenamt“ könne ganz unscheinbar sein, meinte sie im Sinne des Arztes und Theologen Albert Schweitzer. Die 72-Jährige Gelehrte rief dazu auf: „Jeder zeige etwas von der ‚Beglückung’, die im Ehrenamt liegen kann, wenn man auch bereit ist, sich den Konflikten zustellen und Enttäuschungen hinzunehmen und zu verarbeiten“. Der Blick der Diakonie, der Ehrfurcht vor dem Leben, kenne keine Grenzen, sei mit Denken, Fühlen und Handeln verbunden und müsse unbeirrbar kritisch und liebend bleiben, so Keil zu Beginn ihres Vortrages. Es gehe um Da-sein und Mit-sein, aber nicht um ein selbstgerechtes: „Wir haben das Richtige für dich in der Tasche“.

Das Leben beginne mit einer „Hausbesetzung“. Nach 9 Monaten bedingungslosem Asyl bekomme man die fristloser Kündigung. „Ich muss in die Puschen kommen, bevor ich Füße habe“, so Keil. „Leben will nichts als leben“; aber welche Perspektive haben hungernde Kinder in Ostafrika? Für viele Menschen hierzulande werde die Kluft zwischen der Fähigkeit zu hoffen und der Fähigkeit zu handeln so groß, dass sie sich aus der Verantwortung für das eigene Leben (Stichwort: „Versorgungslandschaft“ des Staates) und für das gemeinsame Leben auf diesem Planeten zurückzögen. „Wir sind von Experten umstellt“ und viele hätten daher Angst, Fehler zu machen und unternehmen gar nichts. Wie dies Kirchenkreis-Sozialarbeiterinnen tun, gelte es Ressourcen bei Menschen zu entdecken und ihre Produktivkraft zu aktivieren. Die Wissenschaftlerin brachte es auf die Formeln: Da-sein als Mit-sein.

Zu den „Menschen-Pflichen“ gehöre es, alle Menschen menschlich zu behandeln, menschenwürdige Verhältnisse zu schaffen und sich zu fragen, welchen Beitrag man dazu leisten könne. So lebten viele Rentner jetzt im Bremer Stadtteil Tenever knapp unter dem Existenzminimum; in 20 Jahren werde es viele Rentner geben, die ohne oder mit wenig Rente sich mit kleinen Jobs über Wasser halten werden, prophezeite Keil.

„Unser Fähigkeiten mit anderen mitzufühlen, verkümmern“ so die Gelehrte weiter. Mitleid oder auch „Ehrenamt“ von oben herab helfe aber nicht.

Es gehe darum, den Prozess der umfassenden Menschwerdung in sich selbst zuzulassen. Das Leben bewege sich zwischen Anspannung und Entspannung, Lust und Angst, Energieverausgabung und Regeneration. In körperlicher Hinsicht ist Kennzeichen der Liebe die Fähigkeit des Organismus, dies selbst zu organisieren. Dazu gebe es eine emotionale, mentale und soziale Dimension der Liebe, die sich zwischen diesen Polen bewege. Bei der spirituellen Dimension meinte Keil, dass es in ihrer Generation bei vielen eine religiöse Obdachlosigkeit gebe, ein Kirchenaustritt aber nicht das Problem löse, dass sich die Seele verorten will.

„Wir haben mehr bekommen als wir brauchen können“; darum, so Keil vor ihren 30 Zuhörern: „Lass dir das Nebenamt, in dem Du dich als Mensch an Menschen ausgibst, nicht entgehen“.

Mit einigen Rückfragen und einem Empfang endete die Auftaktveranstaltung der Diakoniewoche, die mit acht weiteren Veranstaltungen, darunter vier Gottesdiensten, fortgesetzt wird.

Gunnar Schulz-Achelis