„Eine Veränderung der Lebensbedingungen ist möglich“

Nachricht Harpstedt, 25. November 2015

Gunnar Bösemann setzt sich als „Brot für die Welt“-Beauftragter dafür ein, die Ursachen der Flüchtlingskrise zu behandeln

brot für die welt gunnar boesemann walter bellingrodt
Das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ fördert Projekte in mehr als 90 Ländern. Harpstedts Pastor Gunnar Bösemann (links) unterstützt die Arbeit im Kirchenkreis Syke-Hoya gemeinsam mit Walter Bellingrodt vom Ausschuss für Partnerschaften, „Eine Welt“ und „Brot für die Welt“.  Foto: Miriam Unger
LANDKREIS. Das Jahr geht zu Ende, und im Rückblick gab es keinen Tag ohne bewegende Nachrichten und Bilder zur Flüchtlingskrise. Die Hilfs- und Spendenbereitschaft in Deutschland ist hoch. Viele Menschen, Organisationen und Projekte im Landkreis machen gute lokale Angebote. In allen Gemeinden des evangelischen Kirchenkreises Syke-Hoya wird in irgendeiner Form Flüchtlingshilfe betrieben. Gunnar Bösemann, Pastor in Harpstedt, macht sich allerdings auch dafür stark, nicht nur die Symptome zu behandeln, die von der weltweiten Krise hier vor Ort sichtbar sind, sondern die Ursachen, die dafür sorgen, dass Menschen ihre Heimatländer überhaupt verlassen. Als Beauftragter für den evangelischen Entwicklungsdienst „Brot für die Welt“ bringt Bösemann Projekte der Organisation in den Kirchenkreis Syke-Hoya, die an anderen Orten auf der Welt helfen sollen.
 
Gunnar Bösemann, Sie sind Pastor in Harpstedt und seit kurzem der offizielle Beauftragte für „Brot für die Welt“ im Kirchenkreis Syke-Hoya. Was reizt Sie an dieser Aufgabe? Und was, glauben Sie, können Sie damit bewirken?
Ich habe 15 Jahre in unterschiedlichen lutherischen Kirchen im südlichen Afrika gearbeitet. Dort habe ich viele Projekte kennengelernt, die von „Brot für die Welt“ unterstützt werden. Ich habe also selber erlebt, wie durch diese Projekte in ganzheitlicher Weise Dorfgemeinschaften dazu befähigt werden, ihre vielfältigen sozialen Herausforderungen in den Ursachen anzugehen. Als Beauftragter für „Brot für die Welt“ kann ich diese Perspektive hier vielleicht sinnvoll einbringen, zumal diese Beauftragung im Kirchenkreis Syke-Hoya in die „Eine-Welt“- und Partnerschaftsarbeit eingebunden ist.
Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Dorfgemeinschaft im ländlichen Malawi, die durch das HIV- und Aids-Programm der Partnerorganisation „Lutheran Communion in Southern Africa“ (LUCSA) begleitet wird. Dort gibt es nicht nur  direkte Intervention durch Aufklärung und Hinführung der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung, sondern gleichzeitig Bildungsarbeit durch die Einrichtung eines Kindergartens und Ernährungszentrums. Es geschieht Hilfe zur Selbsthilfe dadurch, dass Landwirte in Viehhaltung und Ackerbau weitergebildet und angeleitet werden, nährstoffreiche Produkte anzubauen – zusätzlich wird das Dorf durch eine Brunnenbohrung verlässlich mit Wasser versorgt…
Menschen zu helfen, die in für uns unvorstellbarer Armut leben; ihnen Möglichkeiten anzubieten, die zur Verbesserung der Lebensbedingungen in ihrem Land beitragen – das alles ist Teil der sozial-diakonischen Arbeit der evangelischen Kirche. Parallel dazu werden Kirchenleitende sensibilisiert, in der Öffentlichkeit der Gesellschaft auf die zugrundeliegenden strukturellen Schieflagen hinzuweisen, wie zum Beispiel die Verteilung von Reichtum. Angesichts der Größe der Probleme vielleicht ein Tropfen auf dem heißen Stein – für mich sind diese Projekte aber immer beeindruckende Zeugnisse des Aufbegehrens gegen ungerechte Strukturen und Beispiele dafür, dass eine Veränderung der Lebensbedingungen möglich ist.
 
„Brot für die Welt“ ist den meisten Menschen grundsätzlich zwar ein Begriff, aber können Sie noch mal kurz erklären, was diese Organisation genau macht?
Das Hilfswerk „Brot für die Welt“ ist ganz kurz gesagt dazu da, damit der Ausspruch Jesu Christi „Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben in der Fülle haben sollen“ (Johannes 10, 10b), Wirklichkeit wird. Gottes Wunsch für die Welt ist, dass für alle genug da ist. Konkret unterstützt „Brot für die Welt“ in mehr als 90 Ländern der Welt lokale – meist kirchliche – Partnerorganisationen dabei, in Armut lebende und benachteiligte Menschen in die Lage zu versetzen, aus eigener Kraft ihre Lebenssituation zu verbessern. Schwerpunkte der Arbeit sind Förderung von Bildung und Gesundheit, Ernährungssicherung, Achtung der Menschenrechte und Bewahrung der Schöpfung. Diese Schwerpunkte stehen im engen Zusammenhang zu den acht globalen Milleniums-Entwicklungszielen der UNO. Im Jahr 2014 bewilligte Brot für die Welt 636 Projekte für 216,5 Mio Euro. Die Schwerpunkte lagen in Afrika, Asien und Pazifik.
 
Sind die Probleme in weit entfernten Ländern durch die momentane Flüchtlingssituation in diesem Jahr für die Menschen bei uns hier in Deutschland näher gerückt und greifbarer geworden?
Ja. Allerdings mit einem ganz großen „Aber“. Verständlicherweise geht der Blick in Deutschland im Moment stark auf die Herausforderungen, die uns direkt vor Augen liegen. In der Gründlichkeit, die uns Deutschen eigen ist, versuchen wir, möglichst gut und effektiv zu helfen. Und die Hilfsbereitschaft – beispielsweise durch das Engagement von Ehrenamtlichen – ist beeindruckend. Es ist erstens wichtig, Flüchtlinge zu unterstützen – da haben wir gar keine Option, das gehört zu unseren Grundwerten als Gesellschaft. Es ist zweitens auch wichtig, zu erkennen, dass die Zuwanderung von Menschen anderer Nationalität, Kultur, Religion für unsere Gesellschaft eine wichtige Ergänzung und Bereicherung darstellt. Da steckt viel Potential für unsere Gesellschaft drin. Nun zum „Aber“: Die Menschen kommen ja nicht ganz freiwillig, sondern sie werden durch die Not in ihren Herkunftsgebieten getrieben. Wir dürfen nicht aus dem Blick verlieren, warum Menschen bereit sind, ihre Heimat und damit ein großes Stück ihrer Identität aufzugeben, wenn sie sich auf den Weg machen. Was muss also in der Wirklichkeit, aus der sie kommen, verändert werden, damit sie nicht als Getriebene in ein fremdes Land kommen müssen?
Zumal mit der steigenden Zahl der Flüchtlinge bei vielen von uns auch die Sorge steigt, wieviel man denn „schaffen“ kann.
Es ist ja bei Weitem nicht so, dass alle Flüchtlinge dieser Welt nach Europa oder Deutschland kommen. Weltweit sind etwa 60 Millionen Flüchtlinge unterwegs. Das Erleben der Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland führt zwar dazu, dass das Thema stärker ins Blickfeld kommt – aber das Schicksal der 59 Millionen, die nicht nach Deutschland kommen, spielt keine große Rolle.
In bin jedenfalls froh darüber, dass in der öffentlichen Diskussion jetzt verstärkt auch Hintergrundberichterstattung über die Situation in den Herkunftsländern und darüber hinaus auftaucht. Denn ich bin der Ansicht, dass man bestehende Bemühungen, in den Herkunftsländern die Situation zu verändern, ganz stark ins Visier nehmen muss. Und das tut „Brot für die Welt“.
 
Welche Projekte nimmt „Brot für die Welt“ im Augenblick besonders in den Blick?
„Satt ist nicht genug“ ist das Motto der diesjährigen Spendenaktion. Sie wird mit einem feierlichen Gottesdienst am 1. Advent in der Marktkirche in Hannover eröffnet und stellt das Thema Mangelernährung und deren Folgen in den Mittelpunkt. Die „Brot für die Welt“- Projekte leisten einen wertvollen Beitrag, um traditionelle Getreide-, Obst- und Gemüsesorten zu erhalten. Diese Sorten sind reich an Vitaminen und Nährstoffen und kommen mit den jeweiligen Boden- und Klimaverhältnissen gut zurecht.  „Die Wiederentdeckung des Wunderkorns“ ist beispielsweise der Titel des diesjährigen „Brot für die Welt“-Projektes für den Kirchenkreis Syke-Hoya. Mit diesem Projekt werden 700 Kleinbauernfamilien in ländlichen, abgelegenen Regionen der Anden in Peru beim Anbau der Pflanze Quinoa unterstützt. Die sogenannte „Andenhirse“ ist widerstandsfähig, ausgesprochen nahrhaft und hilft in großer Armut lebenden Menschen sehr wirkungsvoll, ihre Kinder mit ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen.
 
Manche Menschen sind misstrauisch, was mit dem Geld geschieht, das sie an eine Organisation spenden. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, ausgerechnet „Brot für die Welt“ zu unterstützen?
Bei „Brot für die Welt“ kommen nachweislich im Durchschnitt 94,5 Prozent der Spende bei dem Projekt vor Ort an. Das ist ein hoher Durchschnitt. Durch umfassende Planung, Begleitung und Auswertung  stellt das Hilfswerk gemeinsam mit den lokalen Partnerorganisationen ebenfalls sicher, dass ein Projekt sinnvoll und förderungswürdig ist, dass Gelder zweckmäßig eingesetzt werden und die gewünschte Wirkung erreicht wird. Das Hilfswerk informiert transparent und ausführlich über die Arbeit und die Zahlen. Ein wichtiges objektives Kriterium für die finanzielle Glaubwürdigkeit und Transparenz ist außerdem die jährliche Überprüfung und Erteilung des DZI-Spenden-Gütesiegels.
 
Wie lassen sich die Projekte von „Brot für die Welt“ von hier aus am besten unterstützen – außer damit, ein paar Euro in eine Sammelbüchse zu werfen?
Es können Kooperationen zwischen deutschen Unternehmen und Projekten in anderen Teilen der Welt entwickelt werden, die beiden Seiten etwas bringen. Vereine, Kirchengemeinden oder andere Gruppen können Aktionen zugunsten von „Brot für die Welt“ durchführen – vom Kuchenverkauf oder Basar über Filmaufführungen bis hin zu Kunstauktion ist alles möglich. Für Schulen gibt es auch die Möglichkeit, zu konkreten Themen Aktionen zu entwickeln, die einem Projekt zugutekommen. „Brot für die Welt“ stellt dafür ausführliches Material zur Verfügung und bietet auf der Internetseite ausführliche Informationen über unterschiedliche Formen von Spenden.
 
Mehr Informationen zum Thema gibt es auf der Internetseite www.brot-fuer-die-welt.de oder bei Pastor Gunnar Bösemann, Telefon: 04244 968 7098, E-Mail: gunnar.boesemann@kirche-harpstedt.de
  
Miriam Unger