„Ich wollte immer normaler Mensch unter normalen Menschen sein“

Nachricht Seckenhausen, 17. Februar 2016

Judith Matthes ist neue Pastorin in Seckenhausen / Vor der Ordination am Samstag beantwortet sie einige Fragen:

JE_Judith Matthes
Judith Matthes ist die neue Pastorin in Seckenhausen. Foto: Jantje Ehlers

SECKENHAUSEN (miu). Von außen wirkt das Pfarrhaus in Seckenhausen eigentlich nicht übermäßig groß. Aber kaum sind die Besucher vom kleinen Flur im Eingang in den Wohnbereich getreten, scheint sich eine große, leere Stille zu öffnen. In der alles viel zu laut hallt. Die Schritte, die Worte. Aber Judith Matthes scheint Profi zu sein im Umgang mit Beklommenheit. Sie setzt der ungemütlichen Stimmung sofort eine geballte Ladung Herzlichkeit und gute Laune entgegen. „Die Möbelpacker waren richtig glücklich, als sie die Sachen aus meiner Zwei-Zimmer-Wohnung hier verteilen durften. Das ging ganz schnell“, erzählt sie und lacht. „Aber Wohnzimmermöbel und Schreibtisch sind bestellt – das Echo wird also bald weg sein…“
Die 30-Jährige ist gerade nach Seckenhausen gezogen. Am kommenden Samstagnachmittag, 20. Februar, wird sie in ihr Amt als Pastorin eingeführt. Den Ordinationsgottesdienst um 15 Uhr in der Martin-Luther-Kirche leitet Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier.
Vorher kam allerdings die Presse noch zum Hausbesuch, um die neue Pastorin vorzustellen.

Herzlich Willkommen in Seckenhausen, Frau Matthes! Haben Sie den Ortsnamen vorher schon mal gehört? „Seckenhausen“?
Judith Matthes (lacht): Nein. Als wir im Probedienst alle unsere ersten Pfarrstellen zugeteilt bekamen und mir gesagt wurde: „Sie kommen nach Seckenhausen“, war meine erste Reaktion: „Ups – wo ist das denn… Der Ort sagt mir ja gar nichts…“ Dann erklärte mir jemand: „Das ist bei Bremen. Bremen-Brinkum.“ Da war sofort alles klar: „Ach, an der Autobahn, wo Ikea ist!“ Und als ich dann herkam, um mir alles anzugucken, fühlte ich mich wie zu Hause: Ikea, die Nähe zum Flughafen… Ich bin in Burgwedel bei Hannover aufgewachsen, und da sieht es ja fast genauso aus.

Erste spontane Reaktion: „Guter Standort!“ oder „Mal gucken, wie es hier so wird…“?
Ich hatte riesengroßes Glück! Im Probedienst darf man zwar Wünsche für die Region äußern, man bekommt die Stelle aber letztendlich zugeteilt. Ich hatte mich für die Sprengel Osnabrück und Stade interessiert. Und Seckenhausen liegt genau auf der Grenze dieser beiden Bezirke.

Wie war Ihr Eindruck, als Sie zum Vorstellungsgespräch kamen und den neuen Arbeitsort, die Kirche und die Gegend live sahen?
An dem Tag war es draußen grau und ungemütlich. Ich hatte im Vikariat in einer alten Zisterzienser-Kirche gearbeitet – also ein ganz anderer Stil als diese moderne Kirche in Seckenhausen, vor der ich erst mal stand und dachte: „Oh. So viel Beton…“ Aber als ich reinging, war ich sofort begeistert, wie toll diese Kirche von innen gestaltet ist. Dass es ein so heller, hoher Raum ist, der so viel Weite eröffnet. Dieses Ensemble mit Kirche, Pfarrhaus und der Photovoltaikanlage, das hat echt was Besonderes.

Und der Ort?
Den erobere ich mir gerade. Im Moment bin ich noch viel mit dem Auto unterwegs, aber ich freue mich auf den Sommer, wenn ich hier überall mit dem Rad rumfahren kann, joggen und im Silbersee baden gehen. Ich glaube, es ist schön hier – abseits der großen Straße.

Sind Joggen und Radfahren Ihre Hobbys?
Joggen ist kein Hobby! (lacht.) Das mache ich so. Um fit zu bleiben. Ansonsten lese ich in meiner Freizeit viel und alles – von Magazinen über Lexika und Klassiker bis Krimis. Außerdem habe ich ja jetzt einen großen Garten. Das wird neben der Gemeinde meine nächste große Herausforderung. Mal sehen, was ich hier alles zum Blühen bringen kann.

Haben Sie schon Pläne, wie Sie die Gemeindearbeit zum Blühen bringen?
Ich finde, die blüht hier schon ganz schön. Bisher ist mein Eindruck: Diese Gemeinde ist sehr vielfältig und hat ein gutes Angebot. Das wird getragen von einem großen ehrenamtlichen Engagement. Genauso, wie man sich das wünscht. Ich wollte immer Pastorin auf dem Dorf sein. Ein ganz normaler Mensch unter ganz normalen Menschen. Und ich freue mich richtig, Teil dieser Gemeinde zu werden.

Gibt es Projekte, die Sie in den nächsten Monaten gleich umsetzen möchten?
Vieles von dem, was ich gut finde, läuft hier schon. Ich gucke mir erst mal alles an, aber ich bin nicht auf etwas Besonderes spezialisiert. Für mich liegt der Reiz meiner Arbeit darin, am Tag mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun zu haben, ihnen einen Ort zu bieten, wo sie sich wohlfühlen und einbringen können. Was ich neben Gottesdiensten, Taufen, Trauungen und Beerdigungen sehr gerne mache: Leute besuchen oder besucht werden. Mit ihnen über ihr Leben, ihren Glauben zu reden und zu erfahren, wer sie sind.
Ich mache jetzt erst mal eine große Begrüßungstour und stelle mich überall im Ort vor: in den Kreisen, in der Schule, bei den Bestattern... Es gibt ja hier eine sehr rege Zusammenarbeit mit der Grundschule, habe ich gehört. Darauf freue ich mich.

Wie sind Sie eigentlich Pastorin geworden?
Ich bin in Chemnitz geboren, meine Eltern haben sich in der „Jungen Gemeinde“ kennengelernt. Sie sind beide christlich geprägt, nicht extrem fromm, aber es gehörte immer zum Leben dazu. Ich bin ganz selbstverständlich zum Kindergottesdienst gegangen und in der Schule in den Religionsunterricht. Am meisten geprägt hat es mich aber, dass ich zu den christlichen Pfadfindern gegangen bin. Und als dann die Zeit kam, in der man überlegte, was man nach der Schule machen möchte – als Mädchen in dem Alter: Stewardess, Model, Schneiderin, Kindergärtnerin? – war mir schon früh klar: Ich möchte Pastorin werden. Nach dem Abi hatte ich allerdings etwas Respekt vor dem harten Studium und habe kurz überlegt, ob Dolmetscherin nicht auch etwas für mich sein könnte. Aber ich glaubte dann doch, dass das Spektrum als Pastorin für mich wesentlich breiter ist; dass ich kreativer, vielseitiger und mit noch mehr verschiedenen Menschen aus allen Altersgruppen arbeiten kann – vom Konfirmandenunterricht bis zum Seniorennachmittag. Also habe ich meinen Mut zusammengenommen und mich für Theologie eingeschrieben.

Wenn Sie Dolmetscherin werden wollten, beherrschen Sie bestimmt mehr Sprachen als Englisch und bruchstückhaftes Schulfranzösisch.
Ja. Neben Deutsch kann ich Englisch, Französisch, Spanisch und Schwedisch. Dazu kommen die toten Sprachen, die man fürs Studium können muss: Latein, Griechisch, Hebräisch. Aber das kann ich nicht so fließend. Und ich habe auch mal ein bisschen Russisch gelernt.

Sie sagen, die Pfadfinderei habe Sie letztendlich zur Kirche gebracht. Was haben Sie als Kind und Jugendliche dort gefunden, was so wichtig für Sie war?
Hingegangen bin ich erst mal einfach nur als kleines Mädchen, weil der große Bruder einer Freundin bei den Pfadfindern war. Ich dachte: „Wenn der da hingeht, muss das ja toll sein!“ So bin ich zu den „Wölflingen“ gekommen und später ab zwölf Jahren Pfadfinderin geworden. Meine Jugend habe ich größtenteils draußen verbracht, auf Feldern, in Wäldern und Wiesen. Ich habe immer nach Rauch gestunken. Wenn ich nach Hause kam, hat meine Mutter mich nur über die Terrasse reingelassen.
Dieses unterwegs und in der Natur Sein, das Lagern und die Freiheit, aber andererseits als christlicher Pfadfinderstamm auch immer Teil der Kirchengemeinde zu sein, ungewöhnliche Gottesdienste und Andachten zu gestalten – das war es. Wir waren sowas wie eine Gemeinde unterwegs, mit vielen jungen Leuten.

Gibt’s hier in der Nähe einen christlichen Pfadfinderstamm?
Ja, das hab ich natürlich gleich rausgefunden. Die nächsten Pfadfinder sind in Brinkum. Mit denen möchte ich auf jeden Fall etwas machen, einen gemeinsamen Gottesdienst zum Beispiel. Also – wenn sie mich wollen…

Einen Satz zum Schluss noch zu Ihrem Charakter, bitte.
Ich bin ein fröhlicher Typ. Natürlich kann ich auch ernst sein, aber insgesamt schon eher lustig, gesellig und umgänglich.

Miriam Unger