„Gut gemacht! Aber im Gottesdienst würde ich andere Worte verwenden…“

Nachricht Bruchhausen-Vilsen, 01. Juni 2016

Privatmenschen als Prediger: Im Kirchenkreis Syke-Hoya werden erstmals professionell Laien zu Lektoren ausgebildet

Lektorenkurs 1
Keine Berührungsängste mit Kanzel und Altar: Viele Teilnehmer des Lektorenkurses waren am Anfang überrascht über die Fröhlichkeit im Seminar und über die Freiheiten bei der Gottesdienst-Gestaltung. Foto: Miriam Unger

In der Brokser Bartholomäus-Kirche ist es ganz still geworden. In den Köpfen hallen noch die Worte nach, die Ina Rapelovski gerade in den Raum gesprochen hat. Es sind Wünsche an die Welt, in der wir momentan leben – verpackt in nachdenkliche, persönliche Sätze, die sich vermischen mit den eigenen Gedanken und Geschichten, die jeder mit sich herumträgt. Ina Rapelovski hält die Ruhe eine Weile im Raum, dann leitet sie mit sicherer Stimme zum nächsten Schritt über: „Lasst uns beten.“ Sie dreht sich zum Altar. Faltet die Hände. Schließt die Augen. Und öffnet sie wieder. Irgendwas stimmt nicht.

Hinter ihrem Rücken ist Unruhe entstanden. Nicht geräuschvoll, aber spürbar. Ina Rapelovski dreht sich um. Ein Teil ihrer Zuhörer sitzt in den Bänken, ein anderer Teil ist aufgestanden und schaut irritiert nach rechts und links, der Rest kann sich nicht entscheiden, ob er stehen oder sitzen soll. „Hey!“, entfährt es Ina Rapelovski. „Ich wollte mit Euch beten – von aufstehen hab ich nix gesagt!“.

Lautes Lachen. Die Seminarteilnehmer beklatschen die kernige Performance. Und auch die Leiter des Kurses nicken der Protagonistin zufrieden zu. „Der Impuls, sich umzudrehen und die Situation zu klären, war genau richtig“, lobt Pastorin Gudrun Müller. „Ich würde im Gottesdienst vielleicht etwas andere Worte verwenden...“

Zum ersten Mal bietet der Kirchenkreis Syke-Hoya einen Kurs zur professionellen Ausbildung von Lektorinnen und Lektoren an. An fünf Wochenenden lernen interessierte Laien, wie sie selbst einen Gottesdienst aufbauen, gestalten und leiten. „In der Regel wird die Lektoren-Ausbildung im Michaeliskloster in Hildesheim durchgeführt“, erklärt Katja Hedel, stellvertretende Superintendentin und Pastorin in Barrien. „Aber für viele Ehrenamtliche – gerade für die berufstätigen – war es ein Hindernis, regelmäßig dort hinzufahren. Also haben wir in Abstimmung mit dem verantwortlichen Lektorendienst in Hildesheim ein Kursangebot erarbeitet, das wir hier bei uns im Kirchenkreis durchführen können.“

Und das Seminar stieß auf Interesse in den Gemeinden in der Region: 14 Teilnehmer lassen sich seit Januar und noch bis in den Sommer in Wochenendkursen für die Lektorenarbeit ausbilden. Leiter des Seminars sind neben der stellvertretenden Superintendentin die beiden Beauftragten für Lektoren- und Prädikantenarbeit im Kirchenkreis: Gudrun Müller (Pastorin in Weyhe) und Heinz-Dieter Freese (Pastor in Martfeld). 

„Vorlesen kann jeder. Ich wollte mehr machen in der Kirche.“
 

Die Gruppe der angehenden Prediger trifft sich in Bruchhausen, Schwarme, Martfeld, Hoya und Bassum und ist eine erstaunlich bunte Mischung aus Charakteren. Sowohl, was Wohnorte, Temperament, Beruf und Biografien angeht, als auch die Beweggründe, sich in der Kirchengemeinde zu engagieren.
Die jüngste Teilnehmerin ist mit 30 Jahren Danielle Elsner, Erzieherin aus Hoyerhagen. „Ich fand es spannend, mehr über die Hintergründe zu erfahren, wie ein Gottesdienst aufgebaut ist, welche Struktur er hat, was man wann, wo und warum an welcher Stelle macht“, sagt sie. „Als ich von dieser Ausbildung erfuhr, dachte ich: Im Gottesdienst einen Text vorlesen kann ja jeder. Ich wollte aber auch gerne selbst mal richtig etwas Inhaltliches machen.“
So ging es auch Hans-Ulrich Lenk aus Nordwohlde, Arzt im Bassumer Krankenhaus und mit 64 der Älteste in der Gruppe: „Irgendwie gefiel mir diese passive Rolle nicht mehr, immer nur als Konsument in der Kirche zu sitzen. Ich wollte gerne mehr machen.“

Alle Kursteilnehmer engagieren sich schon länger in ihren Gemeinden. Sie sind in Kirchenvorständen, in Kreisen oder anderen Gremien aktiv. Die meisten haben sich für die Lektorenausbildung entschieden, weil sie Spaß am Mitwirken in verschiedenen Gottesdienstangeboten und viele positive Reaktionen auf ihre ehrenamtliche Tätigkeit bekommen haben. Im Seminar wollen sie dazulernen, sicherer und professioneller werden.
„Mich hat es zum einen interessiert, das Handwerkszeug zu lernen“, erklärt Frauke Wetjen, „Familienmanagerin“ aus Weyhe, „zum anderen sehe ich es für mich persönlich als geistige und geistliche Fortbildung, die wegen der ganzen administrativen Sachen im Alltag immer zu kurz kam.“
Vielen geht es darum, aktiv in ihren Gemeinde mitzugestalten. „Ich habe im Gottesdienst vorgelesen, beim ,Kirchenboten‘ und im Bauausschuss mitgemacht, aber irgendwann dachte ich: Eine Kirchengemeinde besteht doch nicht nur aus Gebäuden und vorgeschriebenen Texten“, meint Ina Rapelovski, Lohn- und Finanzbuchhalterin aus Bassum. „Ich wollte an diesem Haus für die Gemeinde auch anders mitbauen – mit eigenen Worten und Gedanken. Ich wollte einfach gerne mehr in der Gemeinde sagen.“

Andere haben das Ziel, das Gottesdienstangebot in ihren (meist kleinen, ländlichen) Gemeinden zu stärken oder machen sich grundsätzliche Gedanken über die Zukunft der Kirche. „Wenn ich mich umsehe, bekomme ich immer nur mit, dass alles weniger wird: Mitglieder treten aus, immer mehr Gemeinden werden aufgelöst oder zusammengelegt“, sagt Fritz Tolckmitt, pensionierter Disponent aus Nordwohlde. „Aber auf der anderen Seite habe ich im Bewusstsein, dass Jesus Christus gesagt hat: ,Gehet raus in alle Welt und lehret die Völker‘. Die Verkündigung ist eine Aufgabe der Kirche, die nicht mehr alleine von Hauptamtlichen geleistet werden kann.“ Jürgen Stegmann, Metallbauer aus Wechold, stimmt ihm zu: „Dass eine Gemeinde vor allem aus der Pfarrstelle allein besteht, ist ein Auslaufmodell. Für die Zukunft ist es wichtig, auch Aufgaben wie das Predigen im Gottesdienst auf viele Schultern zu verteilen.“ 

„Wir bringen einen anderen Blickwinkel mit.“

„Ich mache diesen Kurs allerdings nicht, weil ich die Pastoren entlasten und ihnen einen freien Tag verschaffen möchte“, betont Sabine Sonntag, Erzieherin aus Syke. „Sondern weil ich denke, dass es eine große Chance für die Kirche ist, wenn auch Laien in der Verkündigung eingesetzt werden, weil sie einfach einen ganz anderen Blickwinkel auf vieles haben und Vielfältigkeit in die Gemeinde bringen.“

Diese Vielfalt wird vor allem dann deutlich, wenn die Kursteilnehmer freie Gebete oder selbst formulierte Fürbitten vortragen. Mal sind die Beiträge politisch, mal poetisch, mal praktisch – aber immer sind sie sehr persönlich.
Die Seminarleiter bringen den Männern und Frauen das Bearbeiten und sichere Vortragen von Lesepredigten, treffsicheres Formulieren beim Schreiben von Begrüßungen und Gebeten sowie Aufbau und Grundstrukturen eines Gottesdienstes bei. „Die Liturgie ist sowas wie ein roter Faden, der festlegt, was im Gottesdienst an welcher Stelle passiert, an dem man sich festhalten und entlang hangeln kann“, erklärt Katja Hedel.

„Bei der Vorbereitung ist zuerst immer die Frage: Welchen Charakter hat der Gottesdienst? Es gibt im Kirchenjahr ja nicht nur Sonn- und Feiertage, sondern auch Feste, Gedenktage und noch andere besondere Anlässe“, zählt Kursleiter Heinz-Dieter Freese auf. „Was soll im Gottesdienst eigentlich geschehen? Und welche Grundformen gibt es dafür? Was unterscheidet eine Fürbitte von einem Tages- oder Abendmahls-Gebet? Wann spricht man einen Psalm und wann den Segen? Es gibt ja verschiedene Gebetsformen für unterschiedliche Anlässe.“

Im Seminar lernen die Teilnehmer, wann sie frei sprechen und etwas Eigenes formulieren können und wann eine eher kirchliche Sprache und eine traditionelle Form benutzt werden. „Dabei helfen Textschatzgruben wie das ,Evangelische Gottesdienstbuch‘, in dem man ganz viel Material findet, das man verwenden kann. Aber wichtig ist, dass man diese Sätze nicht runterrattert, sondern mit Leben füllt“, bemerkt Gudrun Müller. „Wenn man selbst mit einer Formel nichts anfangen kann, dann muss man eine Formulierung finden, die besser passt und für einen selbst stimmig ist.“

Es geht im Lektorenkurs allerdings nicht nur um kirchliche Strukturen. Sprachgefühl und Betonung beim Vortragen sind genauso Inhalt der Seminare wie das Bewegen im Raum. Denn wer ist es schon gewohnt, in einem riesigen, hohen Raum wie in einer Kirche etwas vorzutragen? 

„Ist das nicht heilig? Darf ein normaler Mensch das überhaupt?“ 

„Für mich war es eine Überwindung, an den Altar zu treten“, sagt Sandra Westphal, Biologin aus Bassum, und lacht. „Seit frühester Kindheit war das für mich immer etwas, das irgendwie heilig ist, wo man als normaler Mensch nicht drangehen, was man nicht anfassen darf. Als ich nun das erste Mal davor stand, war das für mich ganz neu und fremd, und ich habe überlegt: Darf ich da jetzt echt meinen Zettel drauflegen? Davor bin ich erst mal zurückgeschreckt.“

Die Sicherheit der Kursteilnehmer hat in den vergangenen Monaten kontinuierlich zugenommen. Kirchenkreiskantor Ralf Wosch wird den zukünftigen Lektoren im Verlauf des Kurses auch noch Anleitung zum Singen im Gottesdienst vermitteln. 

Im Anschluss an die Kurswochenenden, die noch bis zum Sommer gehen, werden die zukünftigen Lektoren eine Weile von einem Mentor begleitet, der die Gottesdienste mit ihnen vor- und nachbereitet. Meist ist es der Pastor oder die Pastorin ihrer Heimatgemeinde. Nach dieser „Mentorats-Phase“ werden die Lektoren dann offiziell in ihren Gemeinden eingeführt und vom Superintendenten in ihren Dienst berufen.

Viele unerwartete, überraschende Situationen wird es für die Teilnehmer des Lektorenkurses allerdings wahrscheinlich gar nicht geben. Denn die drei Pastoren haben die Männer und Frauen mit ihren eigenen Erfahrungen und Erlebnissen bereits auf alle möglichen Eventualitäten und Kuriositäten vorbereitet.

Inga Rapelovski wusste sich spontan zu helfen, als ihre Zuhörer beim Beten unruhig wurden. Allen anderen rät Heinz-Dieter Freese zur Gelassenheit: „Man kann der Gemeinde vorher sagen, was zu tun ist: ,Bleiben Sie gerne sitzen‘ oder ,Wer möchte, kann zum Gebet gerne aufstehen‘. Man muss es aber nicht. In der Regel“, diese Erfahrung hat der Pastor selbst oft gemacht, „tut die Gemeinde sowieso immer das, was die erste Reihe macht. Da sitzen nämlich meist die Kirchenvorsteher, und die müssen es ja wissen. Bleiben die sitzen, steht auch der Rest nicht auf.“

Miriam Unger

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Bunte Mischung: Die Teilnehmer des Lektorenkurses kommen aus unterschiedlichen Gemeinden im Kirchenkreis. Ausgebildet werden sie von Pastor Heinz-Dieter Freese aus Martfeld (hinten, Zweiter von rechts) und seinen beiden Kolleginnen Katja Hedel aus Barrien und Gudrun Müller aus Kirchweyhe (vorne rechts im Bild).  Foto: Miriam Unger