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„Wir sind hier in der Gemeinde sehr glücklich geworden“

11. Januar 2022

Pastorenpaar Hanna und Timo Rucks verabschiedet sich am Sonntag, 16. Januar, aus Harpstedt und zieht in die Schweiz

HARPSTEDT (miu). Begeistert waren sie damals nicht, als sie das erste Mal nach Harpstedt fuhren, um sich dem Kirchenvorstand vorzustellen. Hanna und Timo Rucks hatten sich ihre erste gemeinsame Pfarrstelle in oder im näheren Umkreis von Hannover gewünscht. Denn Timo Rucks wollte nach seinem Vikariat mit dem Schwerpunkt Medien gerne weiter in der evangelischen Rundfunkarbeit bleiben. Die Gemeinde, die die Landeskirche für sie vorgesehen hatte, lag ganz woanders. Und bis zum Dienstbeginn waren es keine zwei Monate. Die Familie war kurz vor der Entbindung des zweiten Kindes, die Wohnung bereits gekündigt – sie sahen erst mal keine andere Möglichkeit. Hanna Rucks erinnert sich noch genau an die Stimmung, in der sie zum Vorstellungsgespräch fuhren. Und an ihren ersten Eindruck vom Ort, aus dem sie sich am Sonntag, 16. Januar, nun verabschieden.
 
„Eine normale deutsche Dorfstraße; einige alte Häuser, die Kirche und die Anlage drum herum waren natürlich schon schön – aber für uns sah es erst mal aus wie überall.“ Nach dem Kennenlernen einiger Kirchenvorstandsmitglieder hatte sich der Blick auf der Rückfahrt schon etwas geändert. „Beim Rausfahren habe ich gedacht: Heute sagt es uns überhaupt nichts, aber all das wird einmal für uns ganz anders aussehen. Wenn wir hier eine Weile gelebt und Beziehungen zu den Menschen haben, in den Häusern waren, dann wird es uns Heimat und lieb sein. Und so war es auch – wir sind sehr glücklich geworden hier in der Gemeinde.“
„Dass wir anfangs lieber woanders hinwollten, hatte ja auch nie was mit Harpstedt selbst oder den Leuten hier zu tun“, ergänzt ihr Mann.
 
Dieser erste Eindruck ist nun siebeneinhalb Jahre her. In der Zwischenzeit kamen privat noch zwei Kinder dazu – Lea ist inzwischen 9, Simon 7, Elli 5 und Jonathan 4 Jahre alt – und dienstlich viele Erlebnisse und Erfahrungen. Der moderne „Baustellengottesdienst“ ist inzwischen eine feste Institution für alle Generationen in Harpstedt. Timo Rucks baute eine lebendige Jugendarbeit auf, organisierte Freizeiten, baute die Medienarbeit der Gemeinde aus, streamte als erster in der Landeskirche Veranstaltungen und machte auch technisch aus der Harpstedter Kirche ein modernes Veranstaltungszentrum mit neuer Sound- und Beleuchtungsanlage. Hanna Rucks gründete zusammen mit einigen Ehrenamtlichen gleich erst mal die Flüchtlingsinitiative sowie Gruppen und Angebote für Familien.
 
„Als wir kamen, war die Gemeinde in einer Umbruchssituation. Sie hatten mit Werner Richter und Gunnar Schulz-Achelis zwei sehr prägende Persönlichkeiten gehabt und waren es gewohnt, dass die Pastoren viele Ideen einbringen und Projekte anreißen“, erinnern sich die Rucks. „Von daher erwartete keiner von uns, dass wir erst mal alles ein Jahr lang angucken und kennenlernen – es war völlig okay, dass wir gleich mit irgendwas loslegen. Diese Offenheit war sehr cool.“
 
Dass sie nicht nur als Paar und zu Hause mit den vier Kindern, sondern auch bei der Arbeit ein Team sind, das die Stärken und Schwächen des anderen kennt und versucht, sich gegenseitig zu unterstützen – das merkt man schnell, wenn man Hanna und Timo Rucks zusammen erlebt. Liebevoll, aber schonungslos ärgern und ergänzen sie sich gegenseitig.
 
„Ich brauche Hanna beim Predigtschreiben ständig, denn ich bin ein dummer Pastor“, übertreibt Timo Rucks. „Ich kann Veranstaltungstechnik, links und rechts schrauben, bin gut mit meinen Händen; ich kann gut platt raus eine alltagsnahe Predigt halten – aber Griechisch, Hebräisch, Latein…“ „Er ist nicht so der Intellektuelle!“, foppt ihn seine Frau. „Ich lese seine Predigten auf die theologischen Aussagen durch, ob sich etwas widerspricht. Und er liest meine durch, ob man sie versteht oder ob sie zu kompliziert sind. Es ist für alle gut, dass wir da eng zusammenarbeiten.“ „… Und auch in der Gemeindearbeit bin ich auf meine Frau angewiesen. Denn mich alleine würde eine Kirchengemeinde nicht aushalten können“, meint der 37-Jährige selbstkritisch. „Hier in unserer Landeskirche braucht man schon noch einen Traditionshüter, und das bin ich nicht." „Um es diplomatisch zu sagen: Es braucht immer noch jemanden, der das Verbindende und ,Normale‘ im Arbeitsalltag abdeckt“, sagt Hanna Rucks.
 
Am Sonntag verabschieden sie sich nun von der Gemeinde. Ab Februar wird Familie Rucks in Langenthal in der Schweiz leben und arbeiten. „Zwar ist Hanna gebürtige Schweizerin, aber es sind meine Themen, die uns nun dorthin führen“, erzählt Timo Rucks. In der neuen Gemeinde „geht’s ganz stark um Modernisierung, um Öffentlichkeitsarbeit mit Sozialen Medien, um moderne Gottesdienste und Jugendarbeit. Das, was ich mache und machen möchte. Die Stelle hat uns interessiert, der Kirchenvorstand dort hat schnell gemerkt, wer wir sind und was wir wollen. Und dann haben sie so lange gezogen, bis wir nicht mehr Nein sagen konnten.“
 
So werden die sechs Rucks nach dem großen „Finale“ in der Kirche im alten VW-Bus auf der „normalen deutschen Dorfstraße“, die für sie einmal wie jede andere auf der Welt aussah, noch einmal durch Harpstedt fahren, das für sie zum Zuhause geworden ist. An all den Häusern und Orten vorbei, die sie jetzt mit Geschichten und Menschen verbinden. „Wir werden vieles vermissen, aber wir freuen uns aufs Neue“, sagt Hanna Rucks. „Timo und ich sind in unserem Leben so oft umgezogen, und wir haben die Erfahrung gemacht, dass man Beziehungen auch über die Entfernung halten kann und dass die Trauer um das Alte nicht ständig bleibt. Von jedem Ort ist etwas in uns drin geblieben. Und das wird hier, wo die Kinder aufgewachsen sind, besonders so sein.“
 
Familie Rucks wird am Sonntag, 16. Januar, um 15 Uhr verabschiedet. Der „Baustellengottesdienst“ in der Harpstedter Kirche trägt den Titel „Finale“. Eine Anmeldung ist ab Donnerstag über die Seite www.gottesdienst-besuchen.de möglich. Wegen Corona ist die Besucherzahl auf 120 beschränkt. Der Gottesdienst wird online übertragen.

Miriam Unger