'

„Ich war immer gerne ein Grenzgänger.“

Nachricht 01. August 2025

Pastor Albert Gerling-Jacobi geht nach drei Jahrzehnten im Kirchenkreis Syke-Hoya in den Ruhestand

„Ich hatte hier eine gute Zeit - vom Anfang bis zum Ende“: Pastor Albert Gerling-Jacobi geht mit 65 Jahren in den Ruhestand. Foto: Miriam Unger

„Sie sind PASTOR?! Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht …“ Die Reaktion hört Albert Gerling-Jacobi oft – im Urlaub, beim Arzt, in der Kneipe, in anderen Städten. Im Kirchenkreis Syke-Hoya eher nicht,  da kennt man ihn. Seit fast drei Jahrzehnten ist er hier aktiv, präsent und sichtbar, sowohl bei kirchlichen Angeboten als auch bei allen anderen Festivitäten, Konzerten und Veranstaltungen im Gebiet. Wo was los ist, da ist auch Gerling gern.

Auffällig ist er nicht nur durch seine Präsenz, sondern auch durch seine Erscheinung. Starke Augenbrauen, wacher Blick, markante Züge, Kojak-Frisur. Ein Charakterkopf. Er interessiert sich für Mode, trägt gern ungewöhnliche Kombinationen, seltene Schuhe, besondere Details.

Am Samstag, 20. September, wird Pastor Albert Gerling-Jacobi um 15 Uhr in der Christus-Kirche in Syke in den Ruhestand verabschiedet. Einer, der in der Tat beruflich alles Mögliche sein könnte. „Ich bin im Dorf Esperde bei Hameln auf einem Hof aufgewachsen – da war natürlich erst mal Bauer für mich vorgesehen“, erzählt er. „Leider musste mein Vater den Betrieb aus gesundheitlichen Gründen aufgeben, und als ich alt genug war, war der Hof schon zu lange außer Betrieb und auch zu klein, um wirtschaftlich arbeiten zu können.“

Fußballprofi – das wär’s gewesen. „Ich hab’ es bis in die Kreisauswahl geschafft, aber dann endeten meine Fähigkeiten leider schon. Das war also auch nicht realistisch.“ Geschichte und Jura waren kurz eine Alternative. Aber dann ist es doch Theologie geworden. „Meine Mutter war kirchlich, und mein Blick aus dem Kinderzimmer ging genau auf den Kirchturm. Vielleicht hat das eine Rolle gespielt“, überlegt er lachend. Aber entscheidend war wohl der neue Pastor, der nach seiner Konfirmation in den Ort kam und Jugendarbeit machte – wöchentliche Treffen, Freizeiten, Jugendleiterschulungen … „So bin ich zur Kirche gekommen. Fünf Mitschüler haben damals auch Theologie studiert, drei davon sind Pastoren geworden. Das waren echt andere Zeiten.“

Das Studium führte ihn nach Göttingen und Berlin. „Nach dem ersten Examen kam ich nicht sofort in den Beruf, weil es einfach zu viele Studierende gab. Wirklich kein Vergleich zu heute.“ Er jobbte im  Second-Hand-Laden und fuhr für eine Apotheke Medikamente aus, bis das Vikariat in Hedemünden (Landkreis Göttingen) begann.

Erstmal in die Schule

Zweifel hatte er zwischendurch schon mal. „Vor allem nach dem Vikariat. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, als Pastor in einer Kirchengemeinde zu arbeiten – mit Gremien und Kirchenvorstandssitzungen und all dem.“ Also machte er eine religionspädagogische Zusatzausbildung und wurde erst mal Berufsschulpastor in Verden.
„Das war für den Start richtig gut. Ich hatte mit jungen Leuten zu tun, bunt gemischt, aus verschiedenen Kulturen. Viele Menschen, die man in der Kirche gar nicht trifft.“ Diese Kontakte reizen ihn bis heute besonders: „Ich war immer gerne ein Grenzgänger, der über diese binnenkirchliche Schwelle wollte und Menschen kennenlernen, die man sonst eben nicht kennenlernt.“

Die Funktionsstelle war befristet. Nach acht Jahren an der Schule fühlte er sich bereit für eine „klassische“ Pfarrstelle und wechselte, inzwischen verheiratet, in die Kirchengemeinde Weyhe.
„Die Umstellung von Schule auf Gemeinde war sehr groß. Das waren zwei Welten – inhaltlich, atmosphärisch und sprachlich. Ich habe eine Weile gebraucht, um meinen eigenen Weg zu finden und mich wieder authentisch zu fühlen.“ Was schnell funktionierte, war das Leben und Arbeiten im Grenzbereich zwischen Kirchenmitgliedern und Nicht-Mitgliedern. Und – natürlich – das Überschreiten dieser Grenzen. „Jeden Samstag hab ich nach dem Einkaufen auf dem Marktplatz Kaffee getrunken – da lernt man viele Leute kennen. Ich bin auf alle Festivitäten und großen Veranstaltungen gegangen. Und wenn wir im Gemeindehaus Fußball gezeigt haben, sind auch die gekommen, die sonst Hemmungen hatten, kirchliche Räume zu betreten. Solche Projekte finde ich bis heute toll. Mir war es immer wichtig, nicht abzuwarten, sondern da hinzugehen, wo die Leute sind, und ein offenes, positives Bild von Kirche zu vertreten. Weltlich von Gott reden, die biblische Botschaft in heutige Sprache zu setzen, Themen aufzugreifen, die heute wichtig für Menschen sind. Ich glaube, das hab’ ich ganz gut hingekriegt.“
Wichtig sei ihm dabei immer auch das diakonische Handeln von Kirche gewesen. „Kirche ist nur dann Kirche, wenn sie Kirche für andere ist, so hat es Dietrich Bonhoeffer mal gesagt.“ Diesem Grundsatz folgend, hat auch Albert Gerling-Jacobi über all die Jahre immer wieder soziale Projekte initiiert – u.a. in Zusammenarbeit mit der kommunalen Gemeinde in Weyhe 2015 das „Flüchtlingscafé“ und ein großes Gemeinwesen-Projekt gemeinsam mit Vertretern der Verbände und Vereine in der Gemeinde. „Es war immer spannend, zu hören, was die Menschen brauchen und dann was Passendes dazu in Gang zu bringen. Dadurch hat es meist gut funktioniert, Kirche als wichtigen ,Player‘ vor Ort ins Spiel zu bringen.“

"Die Familie hat meinen Beruf mitgetragen"

In Weyhe kamen auch die drei Kinder der Gerling-Jacobis zur Welt – erst die Zwillinge Carl und Hannah, dann Moritz (heute 27 und 25 Jahre alt). „Die ganze Familie hat meinen Beruf mitgetragen, was oft nicht so einfach war.“ Schön sei aber immer das wohlwollende, ehrliche Interesse der Gemeinde gewesen – am Aufwachsen der Kinder, an ihm selbst, an seinen Gedanken, Ideen und Projekten, am gemeinsamen Arbeiten und Leben vor Ort. „Die Zusammenarbeit in der Gemeinde hat echt Spaß gemacht. Es gab ganz viel Lachen und eine Leichtigkeit, dadurch war vieles möglich.“

Nach 20 Jahren war es Zeit für etwas Neues. Gerling wechselte auf die Kirchenkreis-Ebene. Zunächst ins Fundraising, später in die Altenheimseelsorge. „Ein spannender Bereich, in dem ich die geistliche Dimension noch mal ganz neu entdeckt habe. Und die Erkenntnis, wie wichtig diese Arbeit ist. Diese tiefen Erfahrungen, durch die man Menschen begleitet, die am Lebensende nur noch im Bett liegen können. Die Freude über den Besuch, die Dankbarkeit, das Vertrauen und die persönlichen Gespräche.“

Neben seiner jeweiligen Hauptaufgabe engagierte sich der 65-Jährige immer auf vielen Feldern im Kirchenkreis. So war er viele Jahre und bis jetzt zum Schluss stellvertretender Superintendent, Beauftragter für Diakonie, Mitglied im Kirchenkreisvorstand und in der Kirchenkreissynode. Dazu kamen mehrere Jahre in der Synode der Landeskirche, der Vorsitz im Evangelischen Kita-Verband und in diversen inhaltlichen Ausschüssen. Mitgestalten und Menschen kennenlernen – das interessierte ihn am meisten.

Wann immer Gäste oder neue Kolleg*innen in den Kirchenkreis kamen – Albert Gerling-Jacobi war einer der ersten, der offen auf sie zuging und ihnen mit Interesse, Witz und persönlichen Gesprächen über die Schwelle half.
Egal, ob quirlige kleine Kinder oder demente Seniorinnen, ob sperrige Jugendliche oder professionelle Smalltalker, ob großverdienende Sponsoren oder Obdachlose, glückliche Brautpaare oder Menschen in schwierigen Lebenslagen – Gerling findet schnell den persönlichen Draht. Er beherrscht leise, sensible Seelsorgegespräche am Lebensende genauso wie lautstarkes, wüstes Fluchen beim Fußballgucken oder Doppelkopfspielen.

Bauer, Fußballspieler oder...

Kein Wunder also, dass man jemandem wie ihm alle möglichen Berufe zutraut. Auch welche, die mit dem Theologiestudium eher wenig zu tun haben. „Wir haben in der Gemeinde mal ein Projekt gemacht und nicht nur ältere Jubilare, sondern auch Kirchenmitglieder zum 40. Geburtstag besucht“, erzählt Gerling eine seiner Lieblingsanekdoten. „Ich gehe also gegen Abend los, klingele. Eine Frau macht mir die Tür auf, im Hintergrund höre ich ihre Freundinnen laut und aufgeregt lachen. Sie schaut mich an und sagt: ,Ach, Sie sind der Stripper!‘ Ich sage: ,Nein, ich bin der Pastor. Ich wollte zum Geburtstag gratulieren!‘
Ich wurde reingebeten. Natürlich war ich total neugierig, wie der Stripper denn nun aussieht. Die Show konnte ich leider nicht mitmachen, es war ja eine Party nur für die Freundinnen. Aber an der Tür hab ich mich noch mal bedankt: ,Also, dass Sie mir diesen Job als Stripper auch zugetraut hätten – das geht mir runter wie Öl!‘“